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Philosophische Grundlagen-
Das Mittelalter

Die Schriften über die Sinne beziehen sich im Mittelalter auf hauptsächlich zwei Quellen der Antike: zum einen auf Aristoteles´ Bemerkungen über das Seelenvermögen und zum anderen auf Galens physiologische Theorie der Wahrnehmung.

Eine besondere Rolle bei der Weitergabe des antiken Wissens spielten arabische Gelehrte wie Ibn Sîna (980-1037), dessen lateinischer Name Avincenna lautet, mit seinem Hauptwerk Kanon der Heilkunde. Dieses hat auf vielen Gebieten Galen zur Grundlage, doch stellt er in der Sinnesphysiologie auch eigene Theorien auf. Seine Lehre von den vier bzw. fünf inneren Sinnen fasst "[...] die unterschiedliche aristotelische und galenische Tradition in der Sinneslehre zusammen und [hebt] die Wahrnehmungstheorie - dialektisch betrachtet - auf eine neue Stufe. In seiner Abhandlung über die Seele (Risala fi n-nafs) heißt es einleitend über die Wahrnehmung: `Die Wahrnehmung ist entweder eine äußerliche - die fünf Sinne - oder eine innerliche - der Gemeinsinn, die Einbildung, die Urteilskraft und das Gedächtnis.`". Die äußeren Sinne handelt er recht kurz ab. Dabei kann jeder, sogar der Geruchssinn, neben dem eigentlichen Vermögen die fünf Qualitäten Gestalt, Zahl, Größe, Bewegung und Ruhe erfassen. Den Vorgang des Riechens erklärt er wie folgt: "Man atmet die Luft ein, die vom riechenden Körper den Geruch aufgenommen hat. Durch die Nase wird diese affizierte Luft aufgenommen und kommt mit dem vorderen Teil des Gehirns in Berührung und wird dann vom Riechvermögen erfasst." .

Averroes (1126-1198), der eigentlich Ibn Rusd heißt, ist der Verfasser einer der wichtigsten und einflussreichsten Aristoteles-Kommentare. Durch das Weiterentwickeln der Pneuma-Lehre in seinem de-anima-Kommentar gelangt der antike spiritus-Begriff in den lateinischen Westen und wird Gegenstand wahrnehmungstheoretischer Diskussionen. Seine Lehre vom esse spiritualis verbindet aristotelische mit neuplatonischen Elementen und geht davon aus, dass "[...] das Sinnesvermögen durch den Spiritus, einen Geist materieller Natur und von besonderer Feinheit, aktualisiert werde." . Zur Erläuterung geht er näher auf den Geruchssinn ein: "[...] wie die Farbe ein zweifaches Sein hat, d.h. ein Sein im farbigen Körper (und dieses ist das körperliche Sein) und ein Sein im durchsichtigen medium (und dieses ist das geistige Sein), so hat der Geruch ein zweifaches Sein, d.h. ein Sein im riechbaren Körper, und eines im medium; und jenes heißt körperliches und dieses geistiges Sein, jenes [heißt] natürliches [Sein] und dieses äußerliches." (De Anima, II, 97) . Bei den Objekten der Wahrnehmung der äußeren Sinne stellt er drei Formen fest : "ein rein körperliches Sein (esse corporale) im Wahrnehmbaren Gegenstand, ein rein geistiges Sein (esse spirituale), insofern diese Objekte von der Seele erfasst werden, sowie eine Art Vermengungszustand von körperlichem und geistigem Sein im medium, von Averroes auch als diaphanum bezeichnet, das zwischen Gegenstand und Sinnesorgan vermittelt." . Weiterhin führt Averroes den Begriff der intentio ein, die die individuelle Bedeutung bezeichnet, die durch die Wahrnehmungskategorien des Gegenstandes eindeutig beschrieben werden kann. Mit Hilfe seiner fünf Sinne ist man also in der Lage, diese intentiones zu erfassen, doch "[...] zur Erkenntnis des eigentlichen Wesens eines Wahrnehmungsobjektes bedarf es [...] der Begriffe und eines Definitionsvermögens, was wiederum Sache des Intellekts ist." .

Der Naturforscher, Philosoph und Theologe Albertus Magnus (um 1200-1280) hat die Lehren Avincennas´ und Averroes´ als Grundlagen verwendet, um die Seelenlehre des Aristoteles mit der Physiologie Galens zu verbinden. Anders als Platon sieht er die Wahrnehmung als passiven Vorgang, wobei er von der Rolle eines Mediums nicht überzeugt ist. Sich auf Aristoteles und Avincenna stützend entwickelt er ein Vierstufenmodell des Wahrnehmungsprozesses: auf der ersten Stufe wird "die Form von der Materie abstrahiert und getrennt", [auf der zweiten] die Form von der Materie und ihrer Anwesenheit getrennt, aber nicht von den ihr zufällig anhängenden Eigenschaften (Appendices) und den Bedingungen der Materie [, auf der dritten Stufe nicht nur wahrnehmbare Objekte erfasst, sondern auch diejenigen geistigen `Intentionen`, die in den Sinneswahrnehmungen zwar keine Eindrücke hinterlassen, aber ohne die Sinne uns nie bewusst werden, und im vierten Schritt wird die [...]´Washeit´ (quidditas) der Dinge erfasst, befreit von allen anhängenden Eigenschaften der Materie.` Dieses ist die vornehmste Aufgabe des Verstandes." .

Die Wahrnehmungstheorie des Scholastikers Thomas von Aquin (1225-1274) stützt sich betreffend die äußeren Sinne auf Aristoteles. Sein Ausgangspunkt ist, dass alle höheren Lebewesen fünf Sinne besitzen und diese nach ihrem Objekt unterschieden werden. Die Wahrnehmung beruht auf einer gemeinsamen Wurzel radix, die wiederum bei Auftreten eines Reizes in dem betreffenden Sinnesorgan die diesem Organ eigene Empfindungskraft vis sentiendi hervorruft, die dem sensus communis entspricht, hier aber zu den vier inneren Sinnen gehört. Seine Hierarchie der Sinne entwickelt er auf der Lehre der immutatio spiritualis (geistige Veränderung), wonach die Sinnesreize körperlos, aber doch materiell Übertragen werden: "Je hervorragender ein Sinnesvermögen ist, desto geringer ist die vom Gegenstand erfasste Organveränderung." (Sentencia libri de sensu et sensato) . So steht der Sehsinn bei ihm an oberster Stelle, da er keine körperliche Veränderung hervorruft, Hör-, Geruch- und Geschmacksinn haben Mischformen geistiger und körperlicher Veränderung zur Folge, und auf der untersten Stufe befindet sich der Tastsinn, da ihm die Reize auf materiellem Wege zugertragen werden.
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