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Die olfaktorische Revolution und ihre Folgen-
Verstärkte Reinigungsmaßnahmen

Um das Ansteckungsrisiko und die Strapazierung der empfindlichen Nase so gering wie möglich zu halten, versucht man ab Mitte des 18. Jh. verstärkt, dem Gestank in Europa Einhalt zu gebieten. Waren Sanierungsarbeiten bisher nur auf konkrete Anlässe (Ausbruch von Seuchen) beschränkt gewesen, so bemüht man sich nun auch in pest- und cholerafreien Zeiten um die Reinhaltung der öffentlichen und etwas später auch der privaten Bereiche. Vieles wird veranlaßt, um den gefährlichen Erdausdünstungen den Garaus zu machen; es werden beispielsweise Sümpfe trockengelegt, Pflaster verlegt und Wände mit Farbe oder Gips ‚isoliert'. Als ein wirksames Mittel zur Desinfektion gilt (bis zu A. L. Lavoisiers Entdeckungen) das Feuer.
Teilweise werden sogar Brände gelegt, um Epidemien vorzubeugen. Häuser oder Schiffe, in denen eine Seuche gewütet hat, werden niedergebrannt.

Das durch A. L. Lavoisier Ende des 18. Jh. begründete Verständnis der Atmung als ein Verbrennungsvorgang löst eine neue Panik vor dem Erstickungstod aus. Um der Stagnation vorzubeugen, spezialisiert man sich zunehmend auf Methoden der Ventilation. Eine von den Zeitgenossen besonders geschätzte Maßnahme ist z.B. das Anlegen künstlicher Wasserfälle, durch die sowohl die Luft- als auch die Wasserströme kontrolliert werden können. Aber auch einfache Methoden wie offene Fenster und Türen im Haus dienen der Herstellung eines Luftdurchzugs und verhindern somit Stagnation.
Grundsätzlich werden alle Maßnahmen als geeignet angesehen, welche die Bewegung der Luft bzw. des Wassers fördern und den räumlichen Abstand zwischen den Lebewesen vergrößern. So wird in dieser Zeit die Forderung nach Einzelbetten immer lauter (z.B. in Krankenhäusern), da man sich vor den Ausdünstungen des anderen fürchtet, und auch Einzelgräber werden nun verlangt, weil eine Vermischung der Leichengerüche nach Ansicht der Zeitgenossen eine größere Gefahr für die Lebenden darstellt (CORBIN 1984. 138).

Im Jahr 1773 erfindet G. de Morveau ein Desinfektionsmittel aus Kochsalz und konzentrierter Schwefelsäure, dessen Wirkung alles bisherige in den Schatten stellt. In der Folge werden eine Vielzahl von Desinfektionsmitteln hergestellt. Das Neue und Revolutionäre an ihnen ist, daß sie den Geruch nicht mehr einfach überdecken, sondern ihn durch chemische Umwandlung zerstören.

Auch im privaten menschlichen Bereich versucht man vermehrt die Gerüche zu beseitigen. Vor allem in der Armee, in Hospitälern, Schiffen und Gefängnissen wird hierin Pionierarbeit geleistet. Die hygienischen Maßnahmen konzentrieren sich hauptsächlich auf gute Durchlüftung, Schaffung von mehr Platz und Reinigung. Die Vorschriften sind härter und verlangen mehr Disziplin von den Betroffenen. Vor allem bei den Gefängnisinsassen birgt die Erziehung zur Sauberkeit auch moralische Absichten: der Gestank wird in engem Zusammenhang zur Sünde gesehen, durch seine Beseitigung wird gleichzeitig die Seele geläutert.
Als vorbildlich saubere Gefängnisse gelten vor allem die holländischen und die englischen (CORBIN 1984, 147-148). In England existiert bereits ab den 60er Jahren des 19. Jh. das System der Schwemmkanalisation und Wasserversorgung, welches bald von einigen europäischen Städten übernommen wird (z.B. Brüssel, Frankfurt am Main, Danzig, Berlin).
Diesbezüglich hinkt Frankreich deutlich hinterher; man versucht größtmöglichen Profit mit menschlichen Exkrementen zu machen (Düngerherstellung) und sieht die Schwemmkanalisation als Verschwendung an. Erst 1889 wird sie in Paris beschlossen, auf dem Land halten sich die Sammelgruben teilweise noch bis ins 20. Jh. hinein. Doch nicht nur mit menschlichen Exkrementen läßt sich Geld verdienen Dank der wachsenden chemischen Industrie werden beispielsweise Tierkadaver zu Seife oder Tierkohle verarbeitet, aus Knochen und Abwässern wird Salmiak gewonnen. Dieses "Recycling" bringt nicht nur Geld in die Kassen, es trägt auch zu einer Verringerung der Müllberge und des Gestanks bei. Doch die Fortschritte in der Chemie ersetzen nach und nach Dünger aus menschlichem Kot und ähnliche Produkte.
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